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Plötzlich war alles anders

L. ist gerade mal 19 Jahre alt, als ihre alleinerziehende Mutter an Krebs erkrankt. Darauf folgten drei intensive Jahre mit guten und schlechten Zeiten.

Junge Frau sitzt auf Parkbank und wirkt nachdenklich.

„Ich war so überfordert“, sagt L. als sie vom Tod ihrer krebskranken Mutter erzählt, „es kam alles so plötzlich. Meine Mutter war ja trotz ihrer Krankheit sehr selbständig. Sie ist Auto gefahren, hat gekocht und sich fast bis zuletzt um meine jüngeren Geschwister gekümmert.“

L. war 19 Jahre alt, als ihre alleinerziehende Mutter in jungen Jahren an Brustkrebs erkrankte. L. lebte bereits in einer eigenen Wohnung ganz in der Nähe und studierte in Wien. Täglich telefonierte sie mit ihrer Mutter, schaute auf einen Sprung bei ihr vorbei, half ihr im Haushalt oder kümmerte sich um die Geschwister.  Doch das meiste konnte ihre Mutter trotz Spitalsaufenthalt und Chemotherapie noch selbst erledigen. „Eigentlich bin ich kein richtiger Young Carer“, meint L., weil sie nur wenig zu Hause helfen musste und die Familie ein gutes Netz an Unterstützern hatte. Doch kommt es darauf an, wie viel man hilft?

Allein die Diagnose und die Angst um die Mutter haben  das Leben von L. komplett auf den Kopf gestellt. Die Sorgen begleiteten sie im Alltag überall hin, die ließen  sich nicht so einfach abschütteln. Die emotionale Belastung war enorm. „Dem Schmerz ist man selbst ausgesetzt und man glaubt, man muss ohne Hilfe auskommen“, so L.

Die Familie war gut betreut und umsorgt

Das Palliativteam in der Uniklinik kümmerte sich nicht nur um medizinische Belange sondern um vieles mehr. Die Sozialarbeiterin sorgte beispielsweise auch für eine psychologische Begleitung der jüngeren Geschwister durch den Verein Rainbows.

Rainbows begleitet Kinder und Jugendliche in stürmischen Zeiten – bei Trennung und Scheidung oder wenn eine nahestehende Person schwer erkrankt oder gar stirbt. Geboten werden Gruppentreffen oder Einzelbetreuung in Form von Therapiestunden – auch zu Hause. Die Therapeuten spielen, malen und basteln mit den Kindern und helfen ihnen im Tun ihre Gefühle auszudrücken und sich mit der veränderten Situation auseinanderzusetzen. Auf diesem Weg können die Kinder allmählich wieder Zuversicht und Sicherheit gewinnen.

Auch L. selbst nahm Therapie in Anspruch. „Ich denke, dass es nur selten der Fall ist, dass jemand so einen Verlust ohne Hilfe verarbeiten kann. Auch wenn man vielleicht zu Beginn noch nicht bereit dazu ist, irgendwann stellt man sich diesem Schmerz und dabei kann Therapie sehr unterstützend wirken. Ich kann das nur jedem Betroffenen empfehlen“, sagt L. 

Als im Rahmen einer Kontrolluntersuchung Metastasen bei der Mutter auftraten, bestärkte das Palliativteam die Mutter zusehends, sich Gedanken um die Zukunft der Kinder zu machen. Sie sollte Vorsorge treffen und sich überlegen, wer die Kinder betreut, wenn sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert. Kein erfreulicher Gedanke für die Mutter. „Das war ein sehr harter Schritt für sie.“

Bald danach hat sich ihr Zustand verschlechtert und sie musste wieder ins Spital. „Sie hat kaum Luft bekommen, immer wieder erbrochen“, sagt L. , die ihre Mutter bis zuletzt begleitete.  „So einen Moment kann man nicht in Wort fassen.“

Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe

Nach dem Tod der Mutter kümmerte sich L. um das Begräbnis und die Verlassenschaft und um all die Dinge, die erledigt werden müssen. Irgendwie hat sie funktioniert und all die Entscheidungen getroffen, die notwendig waren. „Ich war in einem Ausnahmezustand“, sagt L. rückblickend „ich weiß nicht wie ich das geschafft habe – und nachher darf man dann in sich selbst aufräumen!“

In dieser schwierigen Zeit stehen ihr die Großeltern und ihr Lebensgefährte stets zur Seite. Nur die gut gemeinte Frage „Wie geht’s dir?“, die Bekannte auf der Straße oder im Supermarkt stellten, konnte sie nach dem Tod ihrer Mutter nicht hören. „Was soll man darauf schon antworten? Bescheiden natürlich. Mir wäre lieber gewesen, man hätte mich nicht gefragt, denn im Supermarkt werde ich wohl kaum jemanden mein Herz ausschütten und somit ist die Frage ‚Wie geht es dir?’ in so einer Situation eine leere Phrase, denn eine ehrliche Antwort, bei der mit großer Wahrscheinlichkeit einige Taschentücher notwendig gewesen wären, hätte mein Gegenüber im Supermarkt sowieso nicht gewollt. Und ein ‚Ja danke, es geht schon.’ ging mir damals einfach nicht über die Lippen.“, meint L.

Was ihr stattdessen geholfen hätte? „Es reicht, wenn jemand Vertrauter da ist und zuhört, auch wenn man immer die gleichen Sachen erzählt“, so wie es ihre Freunde und vor allem ihr Freund getan haben.

 Und was würde sie anderen Kindern und Jugendlichen raten, die sich um ihre kranken Angehörigen kümmern?

„Ich würde Betroffenen raten, auf andere zu hören und Hilfe anzunehmen. Auch wenn es manchmal schwer ist, glaube ich, dass jeder sein oderihr Bestes gibt in so einer Situation. Man darf sich selbst auch zugestehen, dass es nicht mehr geht, um Hilfe bitten und diese auch annehmen, ganz egal in welcher Form“, sagt L. ohne lange nachzudenken.

Was sie sich für Young Carer wünscht?

„Natürlich wäre hier die erste logische Antwort: dass sie keine Young Carer sein „müssen“. Aber das Leben hat so seine eigenen Wege und nicht alles liegt in unserer Hand. Deshalb wünsche ich mir für Young Carer, dass sie ausreichend Unterstützung bekommen und den Mut finden um Hilfe zu bitten, denn es ist keine Schande oder Schwäche Hilfe anzunehmen. Ein weiterer Wunsch wäre, dass diese Themen in unserer Gesellschaft kein Tabu mehr sind und Kinder wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, sich um seine Eltern zu kümmern. Gleichzeitig sollten aber auch Eltern wissen, dass es keinen Grund dafür gibt, ihre Situation geheim oder verdeckt zu halten und sich dafür zu schämen, denn eine Krankheit hat man sich nicht ausgesucht und auch psychische Krankheiten, wie z.B. Depression oder Alkoholsucht, sind Krankheiten. - Erst wenn man die Türe öffnet, kann Hilfe hereinspazieren.“